Wie eine Landschaft unter die Windräder gekommen ist
Die Situation
Die historische Kulturlandschaft der ostfriesischen Marsch am Nationalpark
Niedersächsisches Wattenmeer erlebt derzeit die einschneidenste Veränderung
seit dem Bau der Seedeiche. Die großräumige flache Kulturlandschaft
wandelt sich zur Industriefläche.
Sogenannte "Windparks" bestimmen zunehmend den Charakter der
ehemals weiten und unverwechselbaren Weide- und Ackerlandschaft an der
Nordsee. Die Ursache für die Landschaftsveränderung liegt in
der Vorgabe des Niedersächsischen Landesraumordnungsprogrammes, das
die Landkreise zur Bereitstellung einer bestimmten Megawattleistung aus
Windkraftwerken verpflichtet. Die Kommunen stellen durch Änderung
der Flächennutzungspläne entsprechende Flächen bereit.
Hier beginnen die Begehrlichkeiten. Durch die garantierte höhere
Einspeisevergütung des erzeugten Windstromes in das Netz der Energieversorgungsuntenehmen
läßt sich bereits mit einem Windkraftwerk sehr viel Geld verdienen.
Die Bauern, die oft selbst Betreiber oder gar Gemeinderatsmitglied sind,
erhalten im Ostfriesland 10000 DM und mehr Pacht im Jahr nur für
einen Standplatz einer Anlage.
Das Beispiel, das kein Einzelfall ist
Der "größte Windpark Europas", so die Betreiberfirma
Germania-Windpark GmbH & Co KG, hinter der sich allem mit 35 Anlagen
die Herstellerfirma Tacke in Salzbergen verbirgt, entsteht zur Zeit westlich
von Esens in der Gemeinde Holtgast im Landkreis Wittmund. Hier sollen
auf 190 Hektar Fläche (das sind fast zwei Quadratkilometer) insgesamt
41 Windkraftwerke des Windparks Utgast II mit einer Rotorspitzenhöhe
von 72,5 m im Sommer 1996 ans Netz gehen.
Ein Teil des Windparks hat schon einen neuen Eigentümer, 20 Anlagen
wurden an eine GmbH in Regensburg verkauft. Seit 1994 drehen sich bereits
in unmittelbarer Nähe dieser Fläche 7 Anlagen der Firma AN BONUS
im Windpark Utgast l, die nur unwesentlich kleiner sind.
Mit rechten Dingen ging die Ausweisung dieses riesigen Kraftwerkstandortes
in der Marsch nicht zu. Zunächst wurde von der Bezirksregierung Weser-Ems
ein Raumordnungsverfahren durchgeführt, da der Landkreis Wittmund
über kein regionales Raumordnungsprogramm verfügt. Betroffene
Bürger sammelten in dieser Zeit mehr als 300 Unterschriften gegen
den Industriestandort auf der grünen Weide. Das Verfahren wurde abgebrochen
und durch die Änderung eines Flächennutzungsplanes in der Samtgemeinde
Esens ersetzt.
Im Gemeinderat Holtgast bestand die SPD Minderheitsfraktion auf der zusätzlichen
Ausweisung eines Bebauungsplanes, um Einfluß auf die Anlagengröße
und die Standorte nehmen zu können. Mit diesem Antrag wollte man
Rücksicht auf die zu erwartende Lärmbelästigung der Anwohner
und die Wertminderung der Hauser nehmen. Am 26 Mai 1995 wurde dieser Antrag
mit fünf zu vier Stimmen durch die Mehrheitsfraktion Freie Wählergemeinschaft
Holtgast (FWH), hinter der sich mehrheitlich CDU Mitglieder verbergen,
abgelehnt. Zwei Mitglieder der FWH waren von der Abstimmung ausgeschlossen,
da sie direkt oder durch Familienangehörige mit mehreren Anlagen
am Windpark beteiligt sind. Genau einen Tag vorher schlossen der Gemeindedirektor
und der stellvertretende Bürgermeister einen Vertrag mit der Firma
Germania Windpark, die durch den Hersteller Tacke vertreten war. Tacke
verpflichtete sich dann, der Gemeinde 500000 DM zu zahlen, im Gegenzug
verpflichtete sich die Gemeinde "alles zu tun, daß die Windenergieanlagen
behördlich genehmigt werden". Dies rief zunächst den Staatsanwalt
auf den Plan, die Bezirksregierung Weser Ems erklärte den Vertrag
für rechtsunwirksam. Der Vertrag wurde anschließend in eine
Schenkung umgewandelt! Ein Teil des Geldes soll den örtlichen Sportlern
für ein Leistungszentrum zur Verfügung gestellt werden.
Damit nicht genug.
Im Januar 1996 entdeckten Anwohner, daß in den Untergrund des eigens
für den Windparks gebauten 10 km befestigten Straßennetzes
Müll eingebracht wurde. Die stillgelegte Deponie eines Nachbarortes
verschwand so unter der Erde. In den darauffolgenden Tagen kontrollierten
Hubschrauber der Polizei das Baugebiet.
Der Flächennutzungsplan der Samtgemeinde Esens geriet ins Fadenkreuz
des Naturschutzes. Örtliche Mitarbeiter der Konferenz der Natur-
und Umweltschutzverbände Ost-Frieslands prüften die Antragsunterlagen
und stellten fest, daß die vorgeschriebene Flächenerfassung
und -bewertung fehlerhaft waren. Das Planungsbüro, das gleichzeitig
Gutachterfunktion übernimmt, hatte es unterlassen, flächenbezogene
faunistische Daten für dieses Gebiet zu erheben, wie es die Eingriffsregelung
in der Bauleitplanung vorsieht. Statt dessen wurden Daten aus dem Bereich
der gesamten ostfriesischen Küste für das Gebiet extrapoliert.
Unzureichender Naturschutz
Das Land Niedersachsen ist für die unzureichende Berücksichtigung
der naturschutzrechtlichen Belange mitverantwortlich. 1994 erläuterte
die Fachbehörde Naturschutz des Niedersächsischen Landesamtes
für Ökologie (NLO) dem Umweltministerium in Hannover mit einem
Fachgutachten, daß die Windkraftstandorte mit dem internationalen
Vogelzug kollidieren wurden, daß Ausschlußgebiete definiert
und fehlende Daten erhoben werden müßten. Das Umweltministerium
wies daraufhin am 6. Juni 1994 das NLO an, "aus fachlichen Gründen"
die Fachkarten zu überarbeiten; von der Verwendung des Begriffs "Ausschlußgebiete"
sei abzusehen und Flächen der "wahrscheinlichen Ausschlußgebiete"
seien ganz zu streichen. Wegen des "Uberarbeitungsbedarfes der Karten"
sei von "jeglicher Weitergabe an Dritte dringenst abzusehen".
In einem Brief an die Oberkreisdirektoren der Küstenlandkreise vom
25.10.1994 pries die niedersächsische Umweltministerin Griefahn die
nun überarbeitete Karte als "hilfreiches Material für den
Verwaltungsvollzug: Es wird die Planungssicherheit für Windenergieanlagen
stärken und gleichzeitig den Schutz bedeutender Vogelbrut- und Rastgebiete
verbessern". Sie stellte weiter fest, daß "die Belange
der Windkraft denen des Landschaftsschutzes in der Regel überwiegen".
Der Windpark Utgast ist kein Einzelfall
Die Belange des Landschaftsschutzes und des Naturschutzes sind in der
Tat unter die Windräder gekommen: Utgast bei Esens ist kein Einzelfall.
In der Gemeinde Dornum im Nachbarkreis Aurich wurde ein Windkraftwerk
von 18 Anlagen genau in einem "national bedeutsamen Rastgebiet für
Wat- und Wasservögel" errichtet. Ein Betreiber ist der ehemalige
Bundesgeschäftsfuhrer des BUND, der gleichzeitig Ratsmitglied der
Gemeinde ist.
Östlich der Leybucht stehen in einem "international bedeutsamen
Rastgebiet" für Goldregenpfeifer und Große Brachvögel
vier Windkraftwerke; im Landkreis Leer wachsen die ersten Anlagen in einem
potentiellen Flora-Fauna-Habitatgebiet nach EU-Richtlinien aus dem Boden.
In Westerholt, nur wenige Kilometer westlich vom Windpark Utgast, steht
die Planung für 34 Windkonverter von 102 m Rotorspitzenhöhe
vor dem Abschluß.
Die Auswirkungen
Das Land Niedersachsen berücksichtigt offenbar auch nicht die Vorgaben
der sechsten trilateralen Regierungskonferenz zum Schutz des Wattenmeeres
1991 in Esbjerg, daß beim Bau von Windenergieanlagen in einer an
das Wattenmeer angrenzenden Zone der Gesamtcharakter des Wattenmeeres
hinsichtlich Ökologie und landschaftlicher Schönheit zu berücksichtigen
sei. Flora-Fauna-Habitatgebiete wurden erst gar nicht an die EU gemeldet.
Viele Wat- und Wasservögel auf dem Zuge haben bereits mit ihren
Flügeln deutlich gemacht, was sie von der Landschaftsveränderung
halten: Die Windkraftanlagen werden weiträumig gemieden, einige traditionelle
Rastplatze sind bereits zerstört.
Inzwischen drehen sich mehr als 1.000 Windturbinen im Regierungsbezirk
Weser-Ems, noch einmal 1.000 befinden sich im Genehmigungsverfahren.
In einigen betroffenen Dörfern spaltete die Windkraftnutzung bereits
die Dorfgemeinschaften, auf der einen Seite wird an der Windkraft verdient,
auf der anderen Seite fürchten Vermieter um ihre Fremdenverkehrsgäste
und die Wertminderung ihrer Häuser.
Die Forderungen
Statt den Landkreisen megawattbezogen die Ausweisung von Windkraftstandorten
durch die Kommunen zu überlassen, bedarf es der raumordnerischen
Festlegung von Flächen für Windkraftwerksstandorte, die Rücksicht
nehmen auf die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes und die Eigenarten
und Schönheiten der Landschaft.
Wie die Vergangenheit in Ostfriesland gezeigt hat, wurden die Landkreise
von den Antragstellern boomartig überrollt. Die Rechtsaufsicht bei
der Genehmigung von vielen zweifelhaften Windkraftwerksstandorten war
mangelhaft und bedarf der Verbesserung.
Grundsätzlich sollten Raumordnungs- verfahren durchgeführt werden,
bei denen die anerkannten Naturschutzver- bände zu beteiligen sind.
Die Naturschutzverbände sollten offensiver die Probleme der Windkraftnutzung
in sensiblen Bereichen thematisieren und öffentlichen Druck auf die
Landesregierung ausüben.
Was sagt die Fremdenverkehrswirtschaft?
Ostfriesland ist im Küstenbereich abhängig von der Vermarktung
der Landschaft.
Der Tourismus boomt (noch). 13 Millionen offizielle Übernachtungen
werden jährlich gezählt. Die Industrie und Handelskammer für
Ostfriesland und Papenburg warnt schon seit Jahren vor dem weiteren Ausbau
der Windkraft an der Küste; als Grund wird vor allem die Gefährdung
des Fremdenverkehrs gesehen.
Der Kurdirektor von Esens-Bensersiel will aus der Not eine Tugend machen.
Ihm sei nicht ganz wohl beim Anblick der Windenergieanlagen im Windpark
Utgast, die vom Bensersieler Strand im wahrsten Sinne des Wortes hervorragend
zu sehen sind. "Wir müssen das beste daraus machen und Führungen
für die Touristen anbieten und ihnen außerdem sagen, daß
sie in die andere Richtung schauen sollen", zitiert ihn die Lokalzeitung.
Eine Leserbriefschreiberin brachte es auf den Punkt: "Ostfriesland
ist nur noch im Nebel zu ertragen; da sieht man die Windmühlen nicht
und die Tiefflieger bleiben auch weg."
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