Startseite > Aktuelles > Artikel Nr. 324 (November 2009)
Das Wattenmeer als "Weltnaturerbe"
Eine Nachlese - "beinahe wären Tränen geflossen"
Einmal das, mit Verlaub, unsägliche Gesülze von Jens Enemark vom trilateralen Common Waddensea Secretariat in Wilhelmshaven, der maßgeblich an den Bewerbungsunterlagen für die UNESCO mitgearbeitet hat, schön geschrieben auf dem Papier. Es kommt, wie überall, eben nur auf den guten Eindruck an, Inhalte sind weniger wichtig. Die Vermarktung des Nationalparks geht ungebrochen weiter, siehe auch neue Flächen für Kitesurfer in Schutzzonen, und echte Ranger gibt es nach wie vor nicht, "Schwindel, sagen die Leute vom Wattenrat". Die realen Übernachtungszahlen an der Küste von Cuxhaven bis Emden liegen tatsächlich schon bei ca. 37 Millionen/p.a., eingerechnet die Häuser bis acht Betten und die "Schwarzvermieter" . Es ist tatsächlich zum Heulen, was da an Offiziellem in den Medien verbreitet wird. Und zum Anderen Heiko Lossie, der für dpa arbeitet. Er hat genauer hingesehen und -gehört, ein Auszug aus seinem Beitrag vom September 2009 weiter unten.
Wir zitieren auszugsweise:
Das Wunder Watt
Unabsehbar, unermesslich, eine Wüste aus nassem, dunklem Sand - seit einigen Wochen ist sie Erbe der Welt. Der Tag der Unesco-Entscheidung war ein glücklicher Tag für den Mann, der jahrelang dafür gearbeitet hatte, denn nun hatte er fast alles erreicht. Fast [...]
Er erzählt, dass alles ganz schnell entschieden war und seine Mitstreiter anschließend auf ihn zugeströmt seien, sich in den Armen gelegen hätten und beinahe Tränen geflossen wären. [...]
Schwindel, sagen die Leute vom Wattenrat - einem Zusammenschluss von Naturschützern - noch immer, dieses Etikett drehe sich nur um eines: Tourismus. 20 Millionen Gäste im Jahr bleiben schon jetzt über Nacht. Mit dem Titel soll das Watt an Attraktivität gewinnen, noch mehr Anziehungspunkt werden.
Geht es nach dem Tourismusverband, soll die Auszeichnung Hunderttausende mehr anlocken, geht es nach Enemark, soll das Außergewöhnliche von jedem Einzelnen anerkannt werden: 20 500 Seehunde, so viele wie nie zuvor, wurden im vergangenen Jahr vor den Küsten gezählt. Eine von 4000 Tierarten hier, an Fischen gibt es allein mehr als 140. Millionen Wattwürmer wühlen jedes Jahr 1000 Tonnen Sand pro Hektar um.
Enemark schüttelt den Kopf, hört gar nicht auf. Dann findet er bürokratische Worte für die Art, wie er "das touristische Produkt" weiterentwickeln will, spricht von "nachhaltigem Tourismus". Es werde weiterhin Gebiete geben, wo keiner hingehen darf, mehr Ranger, die darauf achten, dass Hunde an der Leine laufen, und die Rat geben, wie man die Natur erleben kann, ohne sie zu stören. [...]
dpa-Bericht von Heiko Lossie, in verschiedenen Tageszeitungen (aber nicht an der ostfriesischen Küste!) ab 02. Sept. 2009:
Das Wattenmeer und der Welt(w)erbe-Titel
Die Vereinten Nationen haben das Wattenmeer vor kurzem zum Erbe der Menschheit erklärt. Nie zuvor hat eine deutsche Naturlandschaft einen derartigen Ritterschlag erhalten. Fremdenverkehr und Politik feiern den Titel als Gewinn für den Umweltschutz. Doch das könnte eine Mogelpackung sein, wie ein Besuch am Watt zeigt.
Husum/Eemshaven (dpa)
[...] Die Natur wirkt hier übermächtig und herrlich zugleich. Unten auf dem Tellerboden drängt sich förmlich ein Gedanke auf: Watt ist es schön!
Bedrohter Zauber
Hans-Ulrich Rösner kennt diesen Geheimtipp. Der Mitarbeiter der Umweltstiftung WWF hat die küstennahe Sandbank mit den Touristen links liegen lassen und ist immer weiter seewärts marschiert. Der 50- Jährige betreut das Watt seit 1985 für den WWF, unzählige Male ist er schon bei Ebbe über diese bizarre Landschaft geschlendert. Und doch ist es für ihn an diesem Tag eine Premiere. Rösner betritt das Watt zum ersten Mal, nachdem es die UNESCO - der Kultur-Wächter der Vereinten Nationen - Ende Juni zum unverzichtbaren Erbe der Menschheit erklärt hat.
[...]
Und der Tourismus? «Der lässt sich kanalisieren. Trotz vieler Besucher kann man sicherstellen, dass die entscheidenden Gebiete unberührt bleiben», sagt Rösner. Doch wer kontrolliert das? «Das ist ein Grundproblem der Wattenmeer-Nationalparke», räumt der Experte ein. Naturschutzvereine, die Besucher am Watt informieren, reichten nicht aus. «Wir brauchen auch mehr Ranger.» In Niedersachsen patrouillieren sechs Nationalparkwarte auf 2700 Quadratkilometern ohne Boote. Rechnerisch ist das so, als bestünde die komplette Polizei im Saarland aus sechs Fußstreifen. In Schleswig-Holstein sind es immerhin 17 Nationalparkwarte. Ebenfalls unmotorisiert, haben sie die fünffache Fläche Berlins zu überwachen. Die Leiter der beiden Nationalparke, Detlef Hansen und Peter Südbeck, verweisen bei diesem Problem auf die vielen Ehrenamtlichen, die ein Auge aufs Watt haben. Zudem sei Informationsarbeit viel wirksamer als Kontrolle.
Holländer sind die besseren Preußen
450 Kilometer von Husum entfernt geht es auch anders. Das niederländische Eemshaven liegt westlich der Emsmündung direkt am Welterbe-Gebiet. Freek Jan de Wal steht auf seinem Arbeitsplatz, dem 400 PS starken Wattenmeer-Kontrollboot «Harder». Die Schiffe mit flachem Rumpf sind extra für Patrouillen im Watt gebaut worden. Seit 1981 gibt es diese Überwachung. «Wir sind zwölf Kollegen auf vier Schiffen und fahren täglich», sagt de Wal. Anders als die deutschen Nationalparkwarte haben niederländische Kontrolleure hoheitliche Rechte - sie sind die Wattenmeerpolizei. «Wir dürfen Strafzettel schreiben», sagt de Wal. Er und seine Kollegen zählen auch Bestände und arbeiten eng mit Vogelwarten zusammen. In Austauschprogrammen sind sie bei der Wasserschutzpolizei oder andersherum. «Unsere Kontrolle ist ganz wichtig, aber wir helfen vor allem, Verständnis für die Natur zu entwickeln» sagt de Wal. Zum System in Deutschland meint er diplomatisch: «Da sind wir dann wohl ein wenig preußischer.»
Klingelnde Kassen
Sven Ambrosy, Vorsitzender des Tourismusverbandes Nordsee und SPD- Landrat im Kreis Friesland, tritt das Erbe gerne an: «Unbestritten ist, dass der Weltnaturerbestatus einen wahnsinnigen Werbe- und Imageeffekt hat und unsere Region sich sehr darüber freut. Der Titel wird dazu beitragen, unsere Region insbesondere im Ausland noch bekannter zu machen.» Dass Tourismus und Umweltschutz Gegensätze sein können, hält er für «eine Debatte von vorgestern». Der Fremdenverkehr wisse, dass die Natur seine Lebensgrundlage sei. Allein in Niedersachsen gibt es zwischen Ems und Elbe jährlich 37 Millionen touristische Übernachtungen. Ambrosy hofft auf noch mehr.
[...]
Filet und Gammelfleisch
Gegenüber von Eemshaven am anderen Emsufer wartet Manfred Knake. Der Chef der Umweltschützer vom «Wattenrat» ist jemand, der schon einmal vier Kilogramm Protest-Akten zur EU-Kommission nach Brüssel karrt. «Knapp 90 Schutzgebiete im Nationalpark Wattenmeer sind 2001 herabgestuft oder gestrichen worden. Alles für den Fremdenverkehr», sagt Knake, ein Mann mit kräftigem Schnauzbart. «Die UNESCO- Auszeichnung ist ein reines Werbe-Etikett. Ein Öko-Schnuller, der Schutz vorgaukelt und klingelnde Kassen meint», sagt der Ex- Zeitsoldat und heutige Grundschullehrer. Er steht auf dem Rysumer Nacken nahe Emden, wo das Welterbe beginnt. Mit Mitstreiter Eilert Voß will er exemplarisch erklären, was das Problem am Watt sei.
«Kurz vor der UNESCO-Entscheidung hat die Stadt Emden den Rysumer Nacken noch schnell zum Gewerbegebiet erklärt», sagt Voß. Anfang der 80er Jahre lebte der Mitarbeiter der Vogelschutzwarte einen Monat auf einer hölzernen Protestplattform in der Emsmündung. Dort demonstrierte er gegen einen geplanten Hafen in der ökologisch sensiblen Region. Nun soll im neuen Gewerbegebiet bei Rysum unter anderem ein Kohlekraftwerk entstehen.
«Die ostfriesischen Inseln liegen als Luftkurorte genau in Windrichtung», sagt der 61-Jährige. Dann deutet er auf eine Plattform in der Emsmündung. «Da lauert die nächste Sauerei.» Weiter flussauf, südlich von Emden bei Jemgum, bauen die Energiekonzerne EWE und Wingas 33 unterirdische Erdgasspeicher. Alle sind so groß wie Wolkenkratzer und werden mit Emswasser aus einem Salzstock gespült. Die Sole wird dann über Rohre am Rysumer Nacken eingeleitet - direkt ins Welterbe-Gebiet. 30 Millionen Tonnen Salz werden es sein. In das Gewicht von Kleinwagen umgerechnet, ergibt das eine Autoschlange einmal um die Erde.
Weiter nördlich am Rysumer Nacken beginnt Upleward. Die Wattenrat- Mitarbeiter zeigen eine Bank aus Muschelresten. «Hier hat sich die Natur mal etwas zurückerobert», sagt Voß. Strandbrüter haben auf der Bank ein Paradies. Doch vor kurzen ist ihre Schutzzone zerschnitten worden. «Für Kite-Surfer», schnaubt Knake. «Dabei sind Drachen in der Schutzzone verboten. Aber die Nationalparkverwaltung drückt gerne ein Auge zu für den Tourismus.» Für Knake endet am Watt der rechtsstaatliche Sektor der Bundesrepublik. Die Ausnahme für Kite- Surfer mache jetzt oft Schule. Aus Filet werde Gammelfleisch.
Hunderttausende Jobs
Unbestritten ist, dass am Tourismus hunderttausende Jobs hängen. Ihren Erhalt mit dem Welterbe sichern - ein legitimer Wunsch. In den Leitlinien der UNESCO geht es aber um das Anrecht künftiger Generationen auf den Erhalt des Wattenmeeres. Es soll ursprünglich bleiben. Davon versteht Reiner Schopf vielleicht so viel wie kein zweiter Wattenmeer-Kenner. 30 Jahre lebte der heute pensionierte Vogelwart alleine auf der Insel Memmert, einem Eiland nahe Juist, das nicht betreten werden darf. Schopf sagt: «Die Verleihung des Weltnaturerbe-Labels wird in einem Atemzug mit Marketing-Strategien genannt. Man braucht kein Pessimist zu sein, um zu wissen, dass es auf eine Steigerung des real existierenden Massentourismus hinausläuft, mit allen verheerenden Folgen für die Natur.»