Miesmuschel-Management im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer
soll zugunsten der Fischer geändert werden
Auch vor den strengsten Schutzzonen des Nationalparks Niedersächsisches
Wattenmeer machen die Miesmuschelfischer nicht halt, um ihre Beute von wild gewachsenen
Muschelbänken mit schweren Ketten ihrer Muschelkutter
abzureißen. Das Miesmuschelmanagement in Niedersachsen soll nun zugunsten
der wenigen Fischer geändert, sprich gelockert werden. Proteste der
Naturschutzverbände sind kaum zu erwarten, die sind im Wattenbereich außer
mit ihren Nationalpark-Informationshäusern kaum noch präsent.
Bereits im Juni 1999 legte das jetzt von der Auflösung bedrohte Niedersächsische
Landesamt für Ökologie (NLÖ) durch seine Forschungsstelle Küste
auf Norderney einen alarmierenden Bericht über die Miesmuschelentwicklung
vor:
"Herlyn, Millat, Michaelis: Einfluss der Besatzmuschelentnahme auf die
Entwicklung eulitoraler Neuansiedlung von Mytilus edulis L. im niedersächsischen
Wattenmeer". Daraus ein Auszug:
Seite 25: "1. Von 12 unbefischten Bänken/Bankbereichen ist im Jahr
nach der Ansiedlung keine/r erloschen, von acht befischten dagegen sind sieben
nahezu erloschen oder nicht mehr vorhanden.
2.....Befischung dagegen hatte raschen Populationsschwund bis hin zum völligen
Erlöschen zur Folge.
3.....Verluste durch Nebeneffekte übertreffen die entnommenen Mengen
um ein Vielfaches.
4. Eine Wiederbesiedelung von Befischungsspuren aus unbefischten Bereichen
heraus findet in der Regel nicht statt.
5. Da von allen bestandsreduzierenden Faktoren allein die Fischerei unmittelbar
steuerbar ist, stellen Fangreduzierung und Schonung die einzigen Maßnahmen
für eine Wiederherstellung beständiger, eulitoraler Miesmuschelbänke
dar."
Ganz anders ein Mitarbeiter des Landwirtschaftsministeriums, der die Tiere
wohl nur vom Teller kennt, zu einem taz-Redakteur: "Ich halte die Ergebnisse
der Forschungsstelle Küste für wissenschaftlich nicht begründet".
So einfach ist das in Niedersachsen: Was nicht passt, wird ignoriert.
Die niedersächsischen Muschelfischer gehen fix zur Sache, wenn nicht
mehr genug Saatmuscheln durch ihre rigorose Fangmethoden vorhanden sind: Sie
plünderten in geschützten Gebieten. So im Jahre 2001 im deutsch-niederländischen
Grenzgebiet vor Delfzjil auf den Bänken Hond und Paapsand. Die niederländische
Staatssekretärin Faber im Landbauministerium reagierte empört bei
Frau Künast in Berlin; der Wattenrat beschwerte sich bei der EU in Brüssel,
die Deutschland abmahnte.
Die taz griff das Thema "Miesmuschelmanagementplan" und "Nationalpark
Niedersächsisches Wattenmeer" im September 2003 auf:
taz Nord Nr. 7162 vom 20.9.2003 (Seite 32)
TAZ-Bericht THOMAS
SCHUMACHER
Angriff auf die Muschelbänke
Niedersächsische Landesregierung will Miesmuschelfischerei im Nationalpark
Wattenmeer ausweiten und damit den Fischern entgegenkommen. Widerstand von
Naturschutzverbänden gegen die Aufweichung des Nationalparkgesetzes ist
nicht in Sicht
Kurz nach Beginn der Muschelsaison sehen die vier niedersächsischen Muschelbetriebe
einen Silberstreif am Horizont. Zwar verspricht die Ernte nicht gerade üppig
zu werden. Die neue CDU/FDP-Regierung in Hannover aber will geltende Fangbeschränkungen
zurücknehmen. Ernsthafter Widerstand von Naturschutzverbänden ist
nicht in Sicht.
Bisher regelte ein Managementplan, in welchen Bereichen des Nationalparks
Wattenmeers an der niedersächsischen Nordseeküste und in welchem
Ausmaß die Muschelfischer ihre Beute vom Boden kratzen dürfen. Dieser
Plan läuft demnächst aus. Was dann folgt, daraus macht Detlev Gaumert,
Referatsleiter im niedersächsischen Landwirtschaftsministerium, keinen
Hehl: "Wir gehen nicht davon aus, dass sich die Bedingungen für die
Muschelfischerei verschärfen. Im Gegenteil", formuliert er ganz undiplomatisch.
Gaumert: " Ich bin pro Fischer. Und bei der gegenwärtigen Konstellation
der zuständigen Ministerien (Landwirtschaft: CDU, Umwelt: FDP, Anm. d.
Red.) gehe ich davon aus, dass wir die Gesetze bürger- und nutzerfreundlich
auslegen werden."
Das Gesetz für den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer hat
bislang die Fanggebiete der Muschelfischer beschränkt und ihnen vorgeschrieben,
zu welchen Zeiten im Jahr sie Saatmuscheln entnehmen dürfen. BUND, NABU
und WWF wollten in jedem Fall wirtschaftliche Nutzer, allen voran die Muschelfischer,
aus den streng geschützten Zonen des Nationalparks heraushalten. Im bisherigen
Muschelmanagementplan wurden zumindest Rechte und Pflichten der Fischer festgehalten.
Eine Begleitbeobachtung sollte gesicherte Daten über Zustand und Veränderung
der Muschelbänke festhalten.
Grundlage des Managementplanes waren 2001 die Untersuchungen der Forschungsstelle
Küste auf der ostfriesischen Insel Norderney, einer Abteilung des Landesamtes
für Ökologie, die dem Umweltministerium untersteht. Die Forschungsstelle
hatte einen dramatischen Rückgang der Muschelbestände in Niedersachsen
festgestellt. Unter anderem deswegen wurden die Fanggebiete der Muschelfischer
durch den Muschelmanagementplan beschränkt. "Ich halte die Ergebnisse
der Forschungsstelle Küste für wissenschaftlich nicht begründet",
relativiert Referatsleiter Gaumert jetzt. Beste Chancen also für eine
Revision des Managementplans.
Die Liste der Wünsche der Fischer dafür ist lang. Sie wollen mehr
Flächen, veränderte Saatentnahmezeiten und sie wollen das Recht,
Eiderenten auf den Muschelbänken zu vertreiben. Denn das Federvieh ist
Nahrungskonkurrent der Fischer. "Es wird Veränderungen im Muschelmanagementplan
geben, auch wenn wir erst alle unsere Vorstellungen mit den entsprechenden
Gremien absprechen müssen", kündigt Gaumert an.
Angst vor Protesten der Umweltverbände braucht er dabei nicht zu haben.
Denn seit der Muschelexperte beim WWF in Bremen, Holger Wesemüller, von
seiner Frankfurter Geschäftsleitung kalt gestellt wurde, liegt das Thema
brach. Die Muschelfischer können hoffen.
Glückliches Schleswig-Holstein: Dort binden Verträge mit der Regierung
die acht Muschelbetriebe bis 2016. Bis auf vier kleine Ausnahmen darf im geschützten
Bereich des Nationalparks Wattenmeer überhaupt nicht geerntet werden.
Kontrolliert wird das mittels einer "Black Box" auf den Fischerbooten,
die die Route genau aufzeichnet. Außerdem werden alle entnommenen Saatmuschelmengen
und alle geernteten Konsummengen registriert. " Für unsere Fischer
mag das lästig sein", sagt Thomas Borchardt vom Nationalparkamt Schleswig-Holsteinisches
Wattenmeer in Tönning. "Aber so haben sie Sicherheit und wir Ruhe
im Nationalpark."
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