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Die Kachelotplate: eine neue Insel?  

Das mediale Sommerloch öffnete sich und gebar heiße Luft

Die Kachelotplate: eine neue Insel im niedersächsischen Wattenmeer? Das mediale Sommerloch öffnete sich und gebar heiße Luft.

Das Wunder bei Juist Die Kachelotplate: eine neue Insel aus dem Nichts?

Von Manfred Knake

Nein, es war nicht der erste April, es war Sommer, Hochsommer, die berühmte nachrichtenarme Zeit. Und die war reif für die Insel. "Plötzlich war sie da, und da tauchte sie plötzlich wie eine Fatamorgana auf; die neue Insel, aus der Kachelotplate entstanden", halluzinierte "Die Welt" in der Gluthitze des Augusts. Und plötzlich war sie auch in aller Munde, das Sommerloch spuckte eine angeblich neue Insel im Wattenmeer aus.

Was da vorgeblich aus dem Nichts erschien, war die lange bekannte und in Seekarten eingetragene Kachelotplate westlich der Inseln Juist und Memmert im Wattenmeer, eine große Sandbank von 2,5 km Länge und der größten Breite von 1,2 km. Die Sandbank veränderte sich durch veränderte Strömungen der Osterems und vermehrte Sandzufuhr seit Jahren ständig, langsam wächst sie über das mittlere Tidenhochwasser hinaus und lässt so schütteren Pflanzenwuchs zu. Solche Sandverlagerungen sind an der Küste nicht ungewöhnlich und die Entwicklung der Kachelotplate ist keineswegs unbekannt. Die Plate erhielt ihren Namen nach dem französischen Wort "cachalote" für Pottwal. In der napoleonischen Zeit war Ostfriesland französisches Territorium, und vermutlich strandete in dieser Zeit ein Pottwal auf der Sandbank.

Seit vielen Jahren ist die Kachelotplate ein bekannter Seehundliegeplatz mit mehreren hundert Tieren, ab und zu findet sich auch mal eine Kegelrobbe ein, dazwischen stehen stets rastenden Eiderenten. Dort rasten jährlich Zehntausende von Watvögeln, ungestört von Sportbootfahreren und Wattwanderern, so sollte es eigentlich sein. Zudem ist die Plate ausgewiesene Schutzzone im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer und in Seekarten eingetragenes Robben- und Vogelschutzgebiet und darf daher ganzjährig nicht betreten werden.

Dabei fing alles ganz harmlos an. Ein Redakteur einer ostfriesischen Regionalzeitung hatte sich die Sandplate privat mit einem Flugzeug von oben angesehen und daraufhin interessehalber den Leiter des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft und Küstenschutz (NLWK), Thorenz, nach der Entwicklung gefragt. Der wurde dann später so zitiert, dass sich die Insel bekanntermaßen zu einer kleinen Insel verändere und auch möglicherweise bei einer Sturmflut wieder auf eine Sandbank zurück gestutzt werden könne.

Das war das Signal, von dpa verkürzt weiterverbreitet: eine neue Insel im Wattenmeer! Sie kamen in Scharen, um nachzusehen: Sportbootfahrer, Zeitungsredakteure und Fernsehteams, zu Wasser mit Booten oder in der Luft mit Kleinflugzeugen. Ganze Bootsbesatzungen stürmten die Plate, eine Juister Sportbootgruppe, offensichtlich trunken vor Eroberstolz, hisste einen fünf Meter hohen Flaggenmast mit einem Schild "Lütje Juist", der vom aufgebrachten Vogelwart der Nachbarinsel Memmert, Reiner Schopf am folgenden Tag entfernt wurde. Flugzeuge flogen im Tiefstflug über die Sandbank und räumten alles ab, was dort Schutz vor dem Menschen haben sollte: Seehunde und Vögel tauchten bzw. flogen ab.

Die Leiterein der Nationalparkverwaltung, Irmgard Remmers, sah sich vor diesem Ansturm genötigt in der Presse zu verkünden, man möge die Kachelotplate doch bitte in Ruhe lassen, immerhin sei das Betreten dort nicht gestattet. Appelle als Ersatz für eine qualifizierte Aufsicht waren der hilflose Versuch, Ruhe in die Ruhezone zu bekommen. In richtigen Nationalparks sorgen Ranger dafür, im niedersächsischen Freizeit-Nationalpark-Wattenmeer ist diese Aufgabe 7 Dünenwärtern auf den Inseln und 15 ständig wechselnden Zivildienstleistenden übertragen worden, auf 280.000 ha Fläche, ohne Kompetenzen, ohne Fahrzeuge, ohne sichtbare Präsenz.

Die Spaß-Gesellschaft, "die den Preis von allem, aber den Wert von nichts kennt", so Horst Stern, spekulierte bereits im wahrsten Sinne des Wortes über die Grundstückspreise auf der Mini-Insel. Der Leiter der Oldenburger Landesbankfiliale auf Juist schätzte den Quadratmeterpreis auf 260 bis 300 Euro. Einigen Juister Geschäftsleuten ging die Phantasie wegen des bisschen Sandes auf Nachbarplate durch, es wurden schon von schicken Restaurants, Edelbotiquen, Discos und Nachtclubs gefaselt, die das touristische Angebot verbessern könnten. Der Vorsitzende des Nationalparkbeirats, Landrat Walter Theuerkauf (SPD), vergaß über diesen Entwicklungsmöglichkeiten gar seine Aufgabe als " Berater" in Naturschutzfragen im Nationalpark. Auf die Frage eines Journalisten, ob es denn so utopisch sei, dass die neue Insel einmal bebaut werde, antwortete er: "Es muss nur genug für Insel geboten werden." Theuerkauf als strammer SPD-Parteisoldat muss es schließlich wissen: Niedersachsen ist pleite, und da ist Bares sicherlich politisch wichtiger als ein paar Vögel und Seehunde im Nationalpark.

Nicht fehlen durfte auch der Streit zwischen dem Naturschutz und den Nutzerinteressen, den es zwar wegen der urlaubsleeren Geschäftsstellen gar nicht gab, der aber von einem Welt-Redakteur, weil es sonst eben immer so ist, einfach herbeigelogen wurde: "Streit um die Nutzung der neuen Insel vor Juist, Naturschutz kontra Wirtschaftsmanager" war in der "Welt" am 05. August als Überschrift zu lesen.

Inzwischen hat sich das Sommerloch wie in jedem Jahr geschlossen, die Hitze ist vorbei, die meisten Touristen und Medienschaffenden sind wieder zu Hause in ihrer Realität angekommen, und die Kachelotplate gehört wieder den Vögeln und Seehunden. Möge es so bleiben.

Verwendete Presseartikel: Ostfriesen Zeitung, 02. Aug. 2003: Viel Wirbel um eine Sandbank Welt am Sonntag, 03. Aug. 2002: Wer darf auf die achte Insel?
Die Welt, 05. Aug. 2003: Streit um die Nutzung der neuen Insel vor Juist

Hier ein aktueller Blick auf die Kachelotplate

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