Niedersachsen: Betreten der Flächen für Naturschutzerfassungen
verboten
Wer meint, im Naturschutz könne es nicht schlimmer kommen, als
es ohnehin
schon ist, der irrt. Das niedersächsisches Umweltminsiterium, das nicht
nur wild und ohne Not entschlossen ist, dass Niedersächsische Landesamt
für Ökologie aufzulösen ("Behördenabbau und Deregulierung"),
will nun auch die bisherige Praxis der Tier- und Pflanzenartenerfassung neu
regeln. Die ist immer notwendig, wenn bei z.B. Bauvorhaben zur Beweissicherung
Flächen auf ihre Schutzwürdigkeit untersucht werden müssen.
Nun müssen sich die behördlichen und privaten Datenerfasser des Naturschutzes
(und nur die des Naturschutzes, nicht die
Vermessungstechniker oder Straßenbauer) vorher beim Grundtstückseigentümer
anmelden und eine schriftliche Betretungsgenehmigung abwarten. Zwischenzeitlich
können dann planungs-hinderliche Pflanzen und Tiere beseitigt werden.
Thomas Schumacher von der taz-Bremen weiß mehr:
taz Nord, 17. Sept. 2003 von Thomas Schumacher
Minister schikaniert eigene Behörde
Hans-Heinrich Sander (FDP) legt seine eigenen Naturschützer an die Kette.
Mit seinem "Betretungserlass" wird die behördliche Bewertung
von Naturgebieten entweder zu kompliziert, zu teuer oder gar unmöglich.
Behörden schütteln Kopf über ihren Chef.
Ein Erlass des niedersächsischen Umweltministers Hans-Heinrich Sander
(FDP) sorgt derzeit in den Umweltbehörden des Landes für Kopfschütteln.
Mit dem internen Behördenpapier "Betretungserlass" möchte
der Minister verhindern, dass Grundstücksbesitzer unangemeldet Besuch
von Naturschützern bekommen. Die müssen laut Niedersächsischem
Naturschutzgesetz (NNatG) aber Naturflächen auf ihre Schutzwürdigkeit
hin bewerten. Um den Pflanzen- und Tierbestand in einer Fläche zu dokumentieren,
hatten Naturschutzbehörden oder deren Beauftragte bislang freien Zugang
zu offenen Naturflächen. Dies schränkt der Minister jetzt ein.
"Wir möchten einfach, dass sich die Behörden oder deren Beauftragte
vorher bei den Besitzern ankündigen, mehr nicht", beschwichtigt ein
Sprecher des Umweltministeriums. Hans-Jörg Dahl, Leiter des Naturschutzes
im Niedersächsischen Landesamt für Ökologie (NLÖ) ist da
ganz anderer Meinung: "Wir empfinden den Erlass als Diskriminierung des
Naturschutzes. Denn das Ministeredikt gilt nur für Naturschützer,
nicht für Straßenbauer, Vermessungstechniker oder landwirtschaftliche
Behörden." Wenn er eine Fläche bewerten wolle, müsse er
nach dem neuen Erlass erstmal die Besitzer feststellen. "Die müssen
wir dann anschreiben. Wenn wir die Antwort bekommen, dass sie unseren Besuch
nicht wollen, müssen wir Vollzugsmaßnahmen einleiten. Das alles
dauert, das kostet, das erhöht den bürokratischen Aufwand."
Ganz dumm wird es, wenn ein Grundstück einer Erbengemeinschaft gehört,
die über die halbe Welt verstreut lebt. "Wir sind eine Naturschutzbehörde
des Landes und kein Detektivbüro", schimpft Hans-Jörg Dahl, "wenn
wir einen Gutachterauftrag an ein freies Planungsbüro vergeben und die
sollen erstmal die Besitzrechte ihres Forschungsgebietes klären, dann
verteuern sich die Aufträge in einem Maße, dass sie nicht mehr finanzierbar
sind."
Entsprechend sauer sind freie Planungsbüros. "Der Erlass ist ein
Eingriff in unsere freie Berufsausübung", ärgert sich Hans Wilhelm
Linders von "ecoplan". Seine Auftraggeber sind unter anderem staatliche
Behörden. Kommunale Naturschutzbehörden fürchten jetzt, dass
sich Grundstücksbesitzer so lange gegen ein Gutachterbüro wehren,
bis sie ein Gutachten zu ihren Gunsten erzwungen haben. Zur Zeit prüfen
Kommunen daher, ob der Erlass des FDP-Ministers überhaupt mit dem Niedersächsischen
Naturschutzgesetz vereinbar ist.
"Bei vielen Gutachten stehen wir zeitlich unter Druck. Wenn wir den Fauna-
und Florabestand im Frühjahr erfassen müssen, können wir eben
nicht bis zur Klärung der Besitzverhältnisse der zu untersuchenden
Fläche bis zum Herbst warten", erklärt ein Landschaftsarchitekt.
Außerdem könne der Besitzer in einem langen Verfahren möglicherweise
den Anlass der Begutachtung, nämlich hochwertige Naturflächen, gefährdeten
Tierbestand oder seltene Pflanzenflächen beseitigen.
Politisch brenzlig wird der Erlass, wenn es um die von der europäischen
Union geforderten Meldungen von FFH Flächen geht. Das Land Niedersachsen
hat es bislang versäumt, ausreichende Flächen nach Brüssel zu
melden. Es drohen hohe Geldstrafen. Und es wird jetzt noch länger dauern.
Denn, so Niedersachsens oberster Naturschützer, Hans-Jörg Dahl: "Mit
dem Erlass des Ministers zögert sich die Kartierung und Meldung von FFH
Flächen weiter heraus." |
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